Amina Nolte im Gespräch mit Christina Klitzsch-Eulenburg von Nodoption und Theresa Richarz vom LSVD* - Verband Queere Vielfalt über den Reformbedarf des Abstammungsrechts in Deutschland.

Wer ist rechtlich Elternteil eines Kindes – und wer wird ausgeschlossen? Das deutsche Abstammungsrecht gibt darauf klare, aber diskriminierende Antworten: Nur wer mit der gebärenden Person verheiratet ist und einen männlichen Geschlechtseintrag hat, wird automatisch als zweiter Elternteil anerkannt.
Zum Wohl aller Kinder und Eltern: Am 1. Juni war internationaler Kinder- und Weltelterntag – ein Tag, der den Blick auf Familien in all ihrer Vielfalt lenkt. Wir nahmen ihn zum Anlass, um mit Christina Klitzsch-Eulenburg von Nodoption und Theresa Richarz vom LSVD* – Verband Queere Vielfalt über ein Thema zu sprechen, das längst überfällig ist: die Reform des Abstammungsrechts in Deutschland. Denn noch immer sind queere Familien rechtlich unzureichend abgesichert – mit direkten, teils dramatischen Folgen für Kinder und Eltern.
Wer ist rechtlich Elternteil eines Kindes – und wer wird ausgeschlossen? Das deutsche Abstammungsrecht gibt darauf klare, aber diskriminierende Antworten: Nur wer mit der gebärenden Person verheiratet ist und einen männlichen Geschlechtseintrag hat, wird automatisch als zweiter Elternteil anerkannt. Auch eine Anerkennung der „Vaterschaft“ ist aktuell nur „Männern“ möglich. Für lesbische, trans* oder nicht-binäre Eltern bedeutet das: Kein rechtlicher Schutz ab Geburt, sondern der Zwang zur Stiefkindadoption – ein aufwändiges und entwürdigendes Verfahren, das ursprünglich für andere Konstellationen geschaffen wurde. Währenddessen sind Kinder und Eltern monatelang rechtlich nicht abgesichert – mit weitreichenden Konsequenzen etwa im Krankheits- oder Todesfall.
Christina und Theresa berichten im Interview von realen Risiken und familiärer Unsicherheit, die durch diese Rechtslage entstehen. Sie machen deutlich: Die Ungleichbehandlung basiert allein auf dem Geschlecht – ein klarer Verstoß gegen das Grundgesetz. Sechs Gerichte haben bereits die Verfassungswidrigkeit festgestellt und Verfahren ans Bundesverfassungsgericht weitergeleitet – doch Entscheidungen stehen weiter aus. Politisch stockt die Reform seit Jahren, trotz klarer Empfehlungen eines eigens eingesetzten Arbeitskreises und wiederholter Appelle aus den Bundesländern.
Dabei wäre die Lösung einfach: eine zweite Elternstelle, unabhängig vom Geschlecht – basierend auf Ehe oder Anerkennung, wie es bei heterosexuellen Paaren längst Praxis ist. Warum dieser erste Schritt so wichtig ist, was Nodoption mit strategischer Prozessführung erreichen konnte, und warum ein neues Abstammungsrecht nicht nur queere Eltern schützt, sondern allen Kindern gerecht wird – all das erfahrt ihr im Gespräch. Ein eindringlicher Appell für rechtliche Gleichstellung, gelebte Vielfalt und echten Schutz von Anfang an.
Amina: Theresa und Christina, könnt ihr nochmal ganz kurz für alle erklären: wie ist das Abstammungsrecht momentan geregelt und was daran ist eigentlich so problematisch?
Theresa: Das sogenannte Abstammungsrecht regelt, welche Erwachsenen die rechtlich verantwortlichen Eltern eines Kindes sind. Es gibt aktuell im deutschen Recht zwei Elternpositionen. Auf der ersten Elternstelle wird die Person, die das Kind geboren hat, als rechtliche „Mutter“ ins Geburtenregister eingetragen. Die zweite Elternposition ist aktuell dem Grunde nach nur für Personen mit männlichem Geschlechtseintrag vorgesehen. Rechtlicher „Vater“ eines Kindes wird der „Mann“, der mit der rechtlichen „Mutter“ verheiratet ist oder, bei unverheirateten Eltern, die „Vaterschaft“ anerkennt. Diese beiden Alternativen sind der Regelfall. Erst in Fällen, in denen keine Einigkeit besteht, wer der zweite Elternteil ist/sein soll, kann die rechtliche Vaterschaft gerichtlich festgestellt werden. Erst dann spielt die genetische Abstammung eine Rolle. Bei der Zuordnung qua Ehe oder Anerkennung ist sie zunächst irrelevant. Aktuell sind nicht nur, wie es dem Wohl des Kindes entsprechen würde, Ehe oder Anerkennung für die Eltern-Kind-Zuordnung entscheidend, sondern auch, dass der zweite Elternteil einen männlichen Geschlechtseintrag hat. Ausgeschlossen sind also Eltern mit weiblichem, diversem oder keinem Geschlechtseintrag. Das führt dazu, dass z.B. Kinder die zwei Mütter haben, nicht mit zwei Elternteilen ab Geburt abgesichert sind. Das verstößt gegen die Grundrechte dieser Familien.
Das Selbstbestimmungsgesetz regelt auch Aspekte der Elternschaft. Dennoch wird etwa ein gebärender trans* Mann immer noch als „Mutter“ ins Geburtenregister eingetragen. Auch hier besteht weiterhin Reformbedarf. Zudem gibt es im aktuellen Abstammungsrecht nur zwei Elternpositionen. Lebensrealität ist jedoch, dass viele Kinder mit mehreren Eltern und für sie verantwortlichen Personen aufwachsen. Weitere Eltern oder Sorgepersonen sind jedoch nicht anerkannt, – etwa beim Elterngeld, der Elternzeit oder anderen Unterstützungsleistungen.
Christina: Die Kehrseite der Medaille ist genau das, was du gesagt hast: Wenn die Eltern aus zwei Personen bestehen, ist die zweite Person nicht automatisch ein Mann bzw. hat einen männlichen Geschlechtseintrag. Diese Personen werden bei der Geburt nicht als zweite Elternteile anerkannt. Das ist kein theoretisches Problem. Kinder sind ab der Geburt nicht rechtlich abgesichert. Familien werden seit Jahren darauf verwiesen, ihre eigenen Kinder zu adoptieren, um später eine rechtliche Elternstellung zu erlangen. Dabei ist die rechtliche Situation unverändert geblieben – ein gravierender Fehler, denn Adoption richtet sich an Fälle, in denen leibliche Eltern ihre Verantwortung abgeben. Wir jedoch planen und bekommen Kinder und erwarten zu Recht, ihnen ab Geburt ohne Umweg durch Adoption als Eltern zugeordnet zu werden. Dieser „Umweg“ ist nicht marginal: Bis zum Abschluss des Adoptionsverfahrens sind weder Eltern noch Kinder rechtlich abgesichert. Ein Elternteil trägt allein die Verantwortung, der andere weiß bis zum Verfahrensergebnis nicht, ob seine Elternschaft anerkannt wird. Gleichzeitig muss der Alltag mit Schlafmangel und Organisation rund um ein Neugeborenes bewältigt werden – Belastungen, die auch parallel zu einem Adoptionsverfahren bestehen bleiben. Viele Eltern scheuen den Prozess. Er ist nicht niedrigschwellig und verursacht ständige Unsicherheit: „Es läuft noch. Ich weiß nicht, wie es ausgeht. Ich habe Angst, ob ich wirklich Elternteil werde.“ Familien leiden darunter. Hinzu kommt die völlige Intransparenz. Niemand weiß, worauf man sich einlässt – weder zeitlich noch inhaltlich. Vom einfachen ärztlichen „Attest“ bis zum psychiatrischen Gutachten kann alles verlangt werden. Gesundheit, Vermögen, Beziehungsdetails – alles muss offengelegt werden. Man soll nicht selten erklären, warum man sich verliebt hat, warum man lesbisch ist, wie die Familie zu der sexuellen Orientierung der Eltern steht und so weiter und sofort. Das ist entwürdigend.
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Amina: Was wisst ihr zu den Adoptionsverfahren aus der Praxis- und warum sind sie gerade im Falle von queeren Familien problematisch?
Christina: Adoptionsverfahren verlaufen sehr unterschiedlich – je nachdem, wer beteiligt ist. Darum haben viele große Angst. Es ist eben nicht so, dass man einfach einen Antrag stellt und zwei Wochen später alles geregelt ist. Es ist ein gerichtliches Verfahren, mit ungewissem Ausgang. Und man ist diesem Prozess vollständig ausgeliefert. Stirbt der adoptierende Elternteil vor endgültigem Abschluss des Adoptionsverfahrens, wird das Adoptionsverfahren nicht zu Ende geführt und das Kind hat keinen Anspruch auf Halbwaisenrente oder entsprechende erbrechtliche Ansprüche. Verstirbt ein Kind bei der Geburt oder vor Abschluss des Adoptionsverfahrens, wird der zweite Elternteil niemals in der Geburtsurkunde stehen und trotzdem leiden, wie Eltern das eben tun. Trennt sich ein Elternpaar vor Abschluss des Adoptionsverfahrens, kann keine Adoption mehr stattfinden. Das sind irreversible Risiken. Und während dieser Zeit schützt auch ein laufendes Adoptionsverfahren nicht.
Theresa: Alle elterlichen Rechte und Pflichten hängen an der rechtlichen Elternposition – also Sorgerecht, Umgangsrecht, Unterhaltsrecht. Das wirkt in beide Richtungen, vor allem aber zum Nachteil des Kindes, wenn diese Position fehlt. Eine Adoption ist, wie Tina erklärt hat, keine Lappalie. Sie wurde grundsätzlich für andere Fälle konzipiert.
Der Gedanke hinter einer Adoption ist eigentlich: Ein Kind hat rechtliche Eltern, die aus verschiedenen Gründen keine elterliche Verantwortung übernehmen können oder wollen. Dann soll der Staat geeignete Eltern finden. Das Familiengericht beauftragt das Jugendamt. Dieses führt eine umfassende Prüfung durch: Hausbesuch, Gutachten, biografische Interviews – mit Fragen wie: Warum wollen Sie das Kind adoptieren? Das ist eine völlig andere Situation als bei einem Kind, das in eine queere Herkunftsfamilie hineingeboren wird. Dort gibt es keinen Bruch. Es muss keine Trennung von den rechtlichen Eltern begleitet werden. Es ist von Anfang an klar, wer die Eltern sind – nämlich die sozialen Eltern, die das Kind betreuen und erziehen.
Trotzdem sind Jugendämter und Familiengerichte an das Adoptionsverfahren gebunden. Auch die „Stiefkind-Adoption“ läuft nach dem Verfahren der sogenannten „Fremdkind-Adoption“. Die Verfahren laufen z.T. sehr unterschiedlich ab. Die Bundesinteressengemeinschaft der Regenbogenfamilien-Fachkräfte (BIG) hat letztes Jahr unter dem Titel „Rote Karte für die Stiefkindadoption!“ diskriminierende Zitate von Jugendämtern und Familiengerichten aus den Adoptionsverfahren veröffentlicht. Besonders belastend ist das Adoptionsverfahren für mehrfach marginalisierte Personen, z.B. queere Eltern mit Behinderung oder psychischer Erkrankung. Manche sagen: „Ich traue mir das Verfahren gar nicht zu.“ Das ist ein massiver Eingriff in das Privatleben von Familien.
Amina: Ihr habt Anfang Mai im Rahmen der bundesweiten Aktion „Wir lassen uns nicht abspeisen“, organisiert von der Bundesinteressengemeinschaft der Regenbogenfamilienfachkräfte, zum Protesttag für ein neues Abstammungsrecht aufgerufen. Der Anlass war unter anderem der Blick in den aktuellen Koalitionsvertrag mit dem Titel „Verantwortung für Deutschland“ von CDU/CSU und SPD. Dabei fällt vor allem eines auf: Verantwortung für queere Familien steht für diese Koalition offenbar nicht oben auf der Agenda. Vereinbarungen zur Reform des Abstammungsrechts fehlen. Wie schätzt ihr die aktuelle Lage ein?
Christina: Es steht wenig Konkretes im Vertrag. Wir gehen aber davon aus, dass die Reform kommt – das aktuelle Recht ist verfassungswidrig, der Gesetzgeber muss handeln. Dass keine Gleichstellung aller Eltern und Absicherung aller Kinder explizit genannt wird, ist enttäuschend. Immerhin steht drin, dass das Familienrecht reformiert werden soll. Ich hoffe, dass das Abstammungsrecht dabei ganz oben steht.
Theresa: Politisch wurde bereits vor zehn Jahren ein Arbeitskreis Abstammungsrecht eingesetzt – von der damaligen großen Koalition, die den Reformbedarf erkannt hatte. Der Arbeitskreis kam zu einem klaren Ergebnis: Die zweite Elternstelle muss unabhängig vom Geschlecht besetzt werden. Dieses Ergebnis wurde 2017 veröffentlicht – noch vor der Eheöffnung. Auch wissenschaftlich herrscht Einigkeit, dass eine Reform notwendig ist.
Ein rechtshistorisch besonderer Erfolg war, dass mittlerweile sechs Gerichte, die mit den Verfahren der Initiative Nodoption befasst waren, die Verfassungswidrigkeit des geltenden Rechts selbst anerkannt und dem Bundesverfassungsgericht zur Klärung vorgelegt haben. Aktuell erleben wir jedoch einen Stillstand, die „Nodoption“-Verfahren sind z.T. bereits seit 2021 beim Bundesverfassungsgericht anhängig. In unserer Gewaltenteilung können Gerichte bei einem politischen Stillstand als Korrektiv wirken und Handlungsdruck erzeugen. Genau das geschieht derzeit leider nicht.
Ein positives Signal kam am 23. Mai – dem Tag des Grundgesetzes – vom Bundesrat, der die Bundesregierung gleich zu Beginn der aktuellen Legislatur deutlich zur Reform des Abstammungsrechts aufgefordert hat. Rheinland-Pfalz hat einen Entschließungsantrag gestellt, dem sich Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen angeschlossen haben. Schon 2021 gab es eine ähnliche Initiative von drei Bundesländern. Das ist ein starkes Zeichen: Die Länder sind näher an der gesellschaftlichen Realität.
Amina: Christina, kannst du erzählen, was ihr bei Nodoption in den letzten Jahren politisch und juristisch gemacht habt und noch vorhabt?
Christina: Mit Nodoption haben wir eine strategische Prozessführung gestartet. Ziel war, möglichst alle Paarkonstellationen vor das Bundesverfassungsgericht zu bringen – um zu zeigen: Wenn der Gesetzgeber nicht handelt, muss das Verfassungsgericht entscheiden. Bisher kam Gleichstellung im queeren Bereich fast immer nur durch höchstrichterliche oder verfassungsgerichtliche Urteile. Unser Ansatz: Gemeinsam mit Familienrechtsanwältin Lucy Chebout – die bereits den ersten Fall betreute – fanden wir weitere interessierte Familien, organisierten eine Infoveranstaltung und leiteten gezielt Verfahren ein, um die zweite, rechtlich nicht anerkannte Person per Gerichtsentscheid als Elternteil zuzuweisen. Männer (im Sinne des männlichen Geschlechtseintrags) sind davon nicht betroffen. Wir starteten bewusst nur wenige Verfahren, um Qualität zu sichern, und erzielten erstaunlichen Erfolg. Von diesen wenigen Verfahren haben gleich sechs Gerichte die Fälle direkt ans Bundesverfassungsgericht weitergeleitet – als konkrete Normenkontrolle. Hierfür müssen die Gerichte darlegen, dass eine Norm, auf die es in ihrer Entscheidung maßgeblich ankommt, ihrer Meinung nach verfassungswidrig ist. Das ist für die Richter*innen, die diese konkreten Normkontrollverfahren eingeleitet haben, ein enormer Aufwand, was wohl ein Grund ist, weshalb das sehr selten passiert. Dass sieben konkrete Normenkontrollen eingeleitet wurden, ist außergewöhnlich. Wir haben gehört, das sei zuvor im Bereich des Familienrechts erst zweimal in der Geschichte der Bundesrepublik passiert. Das zeigt: Es handelt sich nicht um eine Minderheitsmeinung, sondern um einen klaren Verfassungsbruch. Die ersten Vorlagen gingen im Februar oder März 2021 ans Gericht. Seitdem war sehr lange Stillstand. Nun stehen die Verfahren auf der Liste der Verfahren des Bundesverfassungsgerichts, die in diesem Jahr entschieden werden sollen. Parallel haben wir Gespräche mit Politiker*innen geführt – vor allem mit Ulle Schauws (Grüne), aber auch mit anderen Parteien. Als die Ampel kam, schien es zunächst, als würde sich etwas bewegen.
Für mich persönlich war aber schon der Koalitionsvertrag enttäuschend. Dort war nur von „Zwei-Mütter-Familien“ die Rede. Unser Ziel war aber, allgemein Zwei-Eltern-Familien rechtlich abzusichern – unabhängig vom Geschlecht. Mehr-Eltern-Familien unterstützen wir ebenfalls, aber sie waren nicht Gegenstand dieser strategischen Prozessführung. Das hat juristische Gründe, keine politischen.
In den politischen Gesprächen herrschte zunächst Einigkeit. Doch dann passierte das, was die Ampel allgemein belastet hat: Uneinigkeit. Es wirkte wie ein Pokerspiel. Themen wurden verschoben, getauscht, instrumentalisiert. Das Abstammungsrecht war phasenweise sehr präsent, dann wieder nicht. Der Bundesjustizminister wollte anfangs nur Familien, deren Kinder mit Hilfe offizieller Samenspendebanken gezeugt wurden, privilegieren. Das lehnten wir ab – es wäre falsch, Elternrechte von der Art der Zeugung abhängig zu machen und zudem ein Grundsatz, den es im Abstammungsrecht auch nicht gibt. Dann kam ein Gesetzentwurf, der schwach war. Das größte Problem: Der Entwurf war verknüpft mit einem anderen Gesetz zur missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennung durch ausländische Männer, das als teils rassistisch kritisiert wurde.
Theresa: Politisch gab es in den Gesprächen große Einigkeit, dass aktuell eine Diskriminierung besteht. Und dass das dringend angegangen werden muss. Aber es passierte nichts. Dann hieß es: „Es ist alles so kompliziert.“ Rückblickend würde ich sagen, das war strategisch vorangetrieben von der FDP so gewollt. Sehr unterschiedliche Themen wurden miteinander verknüpft. Erst die sogenannte missbräuchliche Vaterschaftsanerkennung, später Unterhalts- und Kindschaftsrecht. In diesen Bereichen haben verschiedene Akteur*innen eigene Interessen. Auch der Gesetzentwurf aus dem Herbst: fast 260 Seiten. Das nährt das Argument, es sei „alles so wahnsinnig komplex“. Das sogenannte „Leitplanken-Bündnis“ aus Nodoption, Deutschem Juristinnenbund, Bundesarbeitsgemeinschaft Schwuler Jurist*innen und LSVD⁺– haben 2023 Leitplanken für die Reform des Abstammungsrechts vorgelegt. Die orientieren sich stark an den Vorarbeiten des Arbeitskreises Abstammungsrecht von vor fast zehn Jahren. Dabei geht es um die zweite Elternstelle. Der Zugang soll – unabhängig vom Geschlecht – über Ehe oder Anerkennung möglich sein.
Wichtig ist erst einmal: Es gibt eine offensichtliche Ungleichbehandlung. Und zwar allein aufgrund des Geschlechts. Ein Kind hat je nach Geschlecht der Eltern rechtlich entweder zwei Eltern – oder nur einen. Das ist eine klare Geschlechterdiskriminierung. Das muss als Erstes behoben werden. Dieser erste Schritt wäre einfach.
Christina: Und was wir noch vorhaben? Ganz einfach: Zwei rechtliche Eltern ab Geburt – unabhängig von deren Geschlecht. Außerdem darf die erste Elternstelle nicht automatisch „Mutter“ sein, sondern muss dem Geschlecht der gebärenden Person entsprechen. Unkompliziert ist: Es zählt Ehe oder Anerkennung – im Sinne des Kindeswohls. So verstehe ich auch den Koalitionsvertrag: Im Sinne des Kindes ist es wichtig, schnell einen zweiten Elternteil zu bekommen – durch Ehe oder Anerkennung.
Im nächsten Schritt müssen wir über Mehr-Elternschaften sprechen. Es entstehen ja keine neuen Familienformen, nur weil man sie rechtlich regelt – es ist umgekehrt, sie existieren bereits. Dafür brauchen wir rechtlich verbindliche Regelungen. Es geht darum, Kinder und Eltern abzusichern. Der jetzige Zustand schadet dem Kindeswohl. Ich glaube, gerade auch in einer christlichen Partei wünscht man sich einfach, dass Eltern Verantwortung für ihre Kinder übernehmen und damit auch anerkannt werden. Punkt. Da sollte es eigentlich keinen Streit mehr geben – hier wird schließlich niemandem etwas weggenommen.
Theresa: Es wird suggeriert: Wenn wir das rechtlich ermöglichen, entstehen erst neue Familienkonstellationen. Dabei gibt es die längst. Die häufigsten Mehrelternkonstellationen sind Stief- und Patchworkfamilien. Es geht darum anzuerkennen, welche gelebten Beziehungen es schon gibt – und zu fragen: Was brauchen diese Familien?
Im Kern sind das feministische Forderungen: Anerkennung von Carearbeit, finanzielle Absicherung für Sorgearbeit. Wer rutscht in Altersarmut, weil er die Kinder des Partners oder der Partnerin über Jahre mitversorgt und beruflich zurückgesteckt hat? Das ist keine neue Theorie, sondern gelebte Realität. Es geht nicht um ein „fancy“ Thema, sondern um die Frage, wie wir Sorge in unserer Gesellschaft organisieren. Was mich an der Arbeit von Nodoption immer fasziniert hat: Eltern fordern auch vom Staat, rechtlich verpflichtet zu werden. Sie sagen: „Ich will als Elternteil anerkannt werden. Ich will unterhaltspflichtig sein.“ Das ist fast schon ein utopisches Gesellschaftsbild.
Christina: Genau, denn im Kern geht es uns um das Kindeswohl und die Gleichberechtigung aller Geschlechter.
Amina: Gibt es Länder, die für Deutschland in Sachen Abstammungsrecht als Vorbild dienen könnten?
Theresa: Es gibt viele Länder, die seit Jahren einen zweiten Elternteil unabhängig vom Geschlecht anerkennen – meist unter der Bezeichnung „zweite Mutter“. Beispiele sind Österreich, Belgien und Spanien. Diese Regelungen sind allerdings oft nicht trans*-inklusiv. Und viele ähneln dem, was Justizminister Buschmann vorgeschlagen hat – also eine Lösung für Familien, deren Kinder durch reproduktionsmedizinische Verfahren entstanden sind. Das schließt viele Familien aus und macht Elternschaft abhängig von finanziellen Mitteln. Auch Familien, die durch private Spenden entstanden sind müssen abgesichert sein können. Und z.B. zwei Mütter können auch ohne Samenbank Kinder zeugen, etwa wenn eine von beiden trans* ist.
Ende Mai 2025 entschied außerdem der italienische Verfassungsgerichtshof, dass die nicht gebärende Mutter als rechtlicher Elternteil anzuerkennen ist. Damit kippte es eine seit 2023 unter Giorgia Meloni geltende Praxis, gleichgeschlechtlichen Paaren keine gemeinsame Eintragung in die Geburtsurkunde zu erlauben. Das Gericht stellte das Kindeswohl als oberste Richtschnur heraus. Das ist ein großer Meilenstein für die queere Community in Italien. Es zeigt, dass Gerichte in der Gewaltenteilung eine wichtige Korrektiv-Funktion haben – besonders dann, wenn rechte Politik Minderheitenrechte bedroht. In Italien sehen wir seit Monaten, wie Gerichte wiederholt die Rechte von Minderheiten verteidigen. In Deutschland ist das bislang anders. In der höchstgerichtlichen Rechtsprechung der letzten Jahre zu queerer Elternschaft, also zu trans* oder lesbischer Elternschaft spielen Grundrechte kaum eine Rolle. Stattdessen wird rein mit der Systematik des Familienrechts argumentiert – ohne das Kindeswohl wirklich zu berücksichtigen. Italien zeigt, dass es auch anders geht: Man kann vom Kindeswohl ausgehen – und daraus Recht ableiten.
Christina: Das Problem ist: So etwas Ähnliches hatten wir schon vor zwei Jahren in Österreich. Dort gab es ein Urteil, das ebenfalls feststellte, dass die zweite Mutter sofort eingetragen werden muss. Trotzdem hat unser Bundesverfassungsgericht die Fälle bisher nicht einmal angerührt. Der einzige Fortschritt ist, dass unsere Verfahren seit ein paar Monaten auf der Liste der zu entscheidenden Fälle für dieses Jahr stehen. Das heißt aber nicht, dass es wirklich in diesem Jahr passiert. Es ist nur eine Planung. Trotzdem: Das ist ein Meilenstein. Ich will das nicht kleinreden. Es ist gut, dass wieder Bewegung reinkommt. Denn die betroffenen Familien erleben jeden Tag reale Schäden. Seit fünf Jahren führen wir diese Diskussion – in dieser Zeit sterben Elternteile, während das Adoptionsverfahren noch läuft oder gar nicht begonnen wurde. Oder sie führen genau solche Verfahren wie wir.
Ein bekannter Fall ist die Familie Ackermann, die als erste so ein Verfahren angestoßen hat. Eine der beiden Mütter hatte einen schweren Autounfall und wäre fast gestorben. Sie ist allerdings rechtlich gesehen der einzige Elternteil des Kindes. Was sie in dem Moment dachte? Sie hat später selbst gesagt: Ich habe nicht gedacht: Hoffentlich sterbe ich nicht – sondern: Ich darf nicht sterben! Hintergrund ist, dass das gemeinsame Kind im Falle ihres Todes zur Vollwaisen geworden wäre, da ihre Frau rechtlich nicht als Elternteil anerkannt ist. Das sind keine hypothetischen Risiken. Es sind reale Fälle. Weitere Familien leben mit Lebensgefahr – sie wollen aber nicht in die Öffentlichkeit. Aber es ist ernst. Es geht nicht um ein Symbol auf dem Papier oder ein besseres Gefühl durch formale Gleichstellung. Es geht um reale Gefahren für Kinder und Eltern – viele Schäden sind längst eingetreten.
Amina: Was erwartet ihr mittelfristig? Habt ihr nach der Wahl schon konkrete Gespräche geführt? Wann muss mehr Druck kommen, und was plant ihr – woher kommt Unterstützung?
Christina: Spätestens im Herbst sollten wir fünf Gänge hochschalten. Beim letzten Mal waren wir noch vorsichtig optimistisch, weil es Anzeichen für Bewegung gab. Aber diesmal warte ich bestimmt nicht bis nächstes Jahr. Es geht zwar nicht nur nach mir, aber wir werden ganz sicher nicht einfach ein Jahr still sein.
Theresa: Die Dringlichkeit ist riesig. Eine einfache Regelung würde reichen: Zweiter Elternteil – Mutter, Vater, Elternteil – ist die Person, die mit der gebärenden Person verheiratet ist oder die Elternschaft anerkannt hat. Fertig. Danach können wir über weitere Reformen sprechen – etwa zur Mehrelternschaft. Aber jetzt braucht es einen klaren, einfachen Gesetzesentwurf, der schnell verabschiedet wird. Was wir bisher kaum angesprochen haben: Die politischen Zeiten spielen eine große Rolle. Der globale Rechtsruck verschärft die Lage. Wer rechtlich nicht als Familie anerkannt ist, ist bei Auslandsreisen, aber auch in alltäglichen Situationen besonderen Risiken ausgesetzt. Umso mehr ist die Regierung in der Pflicht, Rechte jetzt zu sichern – und zwar mit großer Dringlichkeit.